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Stand 30.10.2012

Platzierung im Hauptstudium des modularisierten SJ: HS III M 18

1. Begriff und Tatbestand

1.1 Allgemeines

Unter Menschenhandel ist das Rekrutieren zur sexuellen Ausbeutung (Herz/Minthe, Straftatbestand Menschenhandel, 2006, S. 11) oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft zu verstehen – und zwar unter Ausnutzen einer Zwangslage oder Hilflosigkeit. Menschenhandel muss nichts mit grenzüberschreitenden Vorgängen und Migration zu tun haben (Herz/Minthe, 2006, S. 11; vgl. dazu auch Nr. 88 des Vorschlages für einen Gesamtplan zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels in der EU 2002/C 142/02 – ABL. EG 2002 C 142/23), Opfer können Deutsche ebenso sein wie Nichtdeutsche. Menschenhandel ist unabhängig von Migrationsvorgängen, betroffen sind denoch größtenteil Drittstaatsangehörige aus Osteuropa und Asien wie auch Staatsangehörige der neuen EU-Staaten. Menschenhandel ist geschlechtsunabhängig, zum größten Teil jedoch Frauenhandel (B 90/GRÜNE NRW, LT-Drucks. 2006 14/1987, S. 27).

Konkretisierungen sind dem EU-Recht und den Straftatbeständen §§ 232-233a StGB zu entnehmen.

1.2 Begriff des Menschenhandels nach Art. 2 der Richtlinie RL 2011/36/EU

Mit der Bekämpfung des Menschenhandels und der Abgrenzung zur Schleuserkriminalität befasst sich Nr. 88, 90, 91 des Vorschlages für einen Gesamtplan zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels in der EU 2002/C 142/02. Eine Konkretisierung für die Mindestanforderungen von Straftatbeständen ist der EU-Richtlinie RL 2011/36/EU vom 05.04.2011 zur Bekämpfung des Menschenhandels, zum Schutz der Opfer und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der EU 2002/629/JI (ABl.-EU L 101/1 vom 15.04.2011) zu entnehmen. Dabei ersetzt Art. 2 I der RL den früheren Art. 1 des EU-Rahmenbeschlusses und geht deutlich über die die frühere Definition des Menschenhandels hinaus, indem ausdrücklich die Arbeitsausbeutung der Bettelei und der Organhandel mit einbezogen werden (Erwägungsgrund (11) der RL).
Art. 2 I der RL verpflichtet die EU-Staaten, folgende Handlungen als Straftatbestand zu erfassen: Die
- Anwerbung,
- Beförderung,
- Verbringung,
- Beherbergung
- oder Aufnahme von Personen,
einschließlich Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Person
durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über eine andere Person hat, zur Ausbeutung.

Nach Art. 2 II der RL liegt eine besondere Schutzbedürftigkeit vor, wenn die betreffende Person keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen.

Ausbeutung umfasst nach Art. 2 III der RL mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen der sexuellen Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei, oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme.

Das Einverständnis des Opfers mit der Ausbeutung ist nach Art. 2 IV der RL unerheblich, wenn eines der in Art. 2 I der RL genannten Tatmittel vorliegt. Einen besonderen Schutz auch in Fällen ohne die in Art. 2 I der RL aufgezählten Tatmittel sieht Art. 2 V, VI der RL für Personen unter 18 Jahren vor.

Art. 4 der RL legt bestimmte Mindestmaße für die Strafandrohungsobergrenzen im innerstaatlichen Strafrecht der EU-Staaten fest, Art. 8 der RL schreibt die Straffreiheit für Opfer im Hinblick auf Straftaten vor, zu deren Begehung sie sich gezwungen sehen, weil sie den in Art. 2 der RL genannten Taten ausgesetzt sind.

1.3 Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung nach § 232 StGB

Tathandlung des § 232 I Satz 1 StGB ist, das Opfer
- zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bringen oder
- dazu zu bringen, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird,
   - an dem Täter oder an einem Dritten vorzunehmen
   - oder vor dem Täter oder vor einem Dritten vorzunehmen
   - oder von dem Täter oder von einem Dritten an sich selbst vornehmen zu lassen. Das Opfer dazu „zu bringen“ bedeutet jedes tatsächliche Veranlassen solcher Handlungen, sei es durch psychische Veranlassung (z.B. Drohung), durch Täuschung oder durch Gewalt.  Weiteres Tatbestandsmerkmal ist, dass diese Handlung unter Ausnutzen einer Zwangslage oder auslandsspezifischer Hilflosigkeit geschieht. Die auslandsspezifische Hilflosigkeit kann in mangelnder Sprachkenntnis und fehlenden Barmitteln sowie in einer in Bezug auf Unterkunft, Verpflegung und Entziehung des Passes bestehenden Abhängigkeit des Opfers vom Täter bestehen.  

Unter Prostitution ist die zu Erwerbszwecken ausgeübte, wiederholte entgeltliche Vornahme sexueller Handlungen an, mit oder vor wechselnden Partnern zu verstehen, wobei die sexuelle Handlung als entgeltliche Leistung angesehen wird und die sexuelle Beziehung nicht in ein persönlich-emotionales Verhältnis integriert ist. Sie begründet eine rechtswirksame Forderung gegen den Freier oder – im Falle der im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses getroffenen Vereinbarung eines Entgeltes für das Bereithalten zur Prostitution zu bestimmten Zeiten – gegen den Arbeitgeber (vgl. Art. 1 § 1 ProstitutionsG).

Mit § 232 III, IV StGB hat der Gesetzgeber Qualifikationstatbestände in Umsetzung der Mindeststrafdrohung geschaffen, die Art. 3 II des EU-Rahmenbeschlusses 2002/629/JI - jetzt Art. 4 RL 2011/36/EU - verlangt, für den Fall, dass
- das Tatopfer ein Kind ist (§ 232 III Nr. 1 StGB),
- das Tatopfer körperlich schwer misshandelt oder in die Gefahr des Todes gebracht wird (§ 232 III Nr. 2 StGB) oder
- der Täter gewerbsmäßig oder bandenmäßig handelt (§ 232 III Nr. 3 StGB).

Während unter einem Kind nach Art. 2 VI RL 2011/36/EU und Art. 1 UN-Kinderkonvention eine Person im Alter unter 18 Jahren zu verstehen ist, wird im deutschen Strafrechtrecht und Jugendschutzrecht als Kind eine Person im Alter unter 14 Jahren verstanden (§§ 19, 176 I StGB, § 7 I Nr. 1 SGB VIII). Damit erfüllt § 232 III Nr. 1 StGB die Vorgabe des Art. 4 II a) RL 2011/36/EU nicht vollständig (der frühere Art. 3 II b) des EU-Rahmenbeschlusses ließ den Gesetzgebern ein größeres Ermessen im Hinblick auf die Einstufung von Opfer, die das Alter sexueller Selbstbestimmung noch nicht erreicht haben, als Opfer besonderer Schutzbedürftigkeit). Nicht vollständig identisch ist auch die Begehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung iSv. Art. 1 des EU-Rahmenbeschlusses 2008/841/JI vom 24.10.2008 (ABl.-EU L 300/42 v. 11.11.2008) wie er in Art. 4 II b) RL 2011/36/EU (früher Art. 3 II d) des EU-Rahmenbeschlusses) verwendet wird, mit der gewerbs- oder bandenmäßigen Begehung nach § 232 III Nr. 3 StGB.
 
1.4 Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung nach § 233 StGB

§ 233 StGB bezieht sich auf die Ausbeutung der Arbeitskraft des Opfers. Auch hier wird vorausgesetzt, dass die Handlung unter Ausnutzen einer Zwangslage oder auslandsspezifischer Hilflosigkeit ausgeführt wird. Versuchsstrafbarkeit und Qualifikationen bzw. Straferhöhende Tatbestände entsprechen § 232 StGB (vgl. § 233 II, III StGB).

1.5 Förderung des Menschenhandels nach § 233a StGB

§ 233a StGB schließlich bezieht sich auf §§ 232, 233 StGB und erfasst das Vorschubleisten durch Anwerben, Beförderung, Weitergabe (z.B. im Wege des „Rotationssystems“), Beherbergung oder Aufnahme des Opfers.

1.6 Begleitkriminalität

Denkbare konkurrierende Tatbestände sind
-
ausbeuterische Zuhälterei und dirigierende Zuhälterei (§ 181a StGB),
- Einschleusen von Drittstaatsangehörigen (§§ 96, 97 StGB),
- räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB),
- Nötigung (§ 240 StGB),
- Körperverletzung (§§ 223 ff StGB),
- Vergewaltigung (§ 177 II StGB).

2. Herkunft der Opfer

2.1 Herkunftsstaaten

Lt. BKA-Lagebericht Menschenhandel stammt ein großer Anteil der in den Lageberichten registrierten Opfer aus dem Ausland, so aus Bulgarien,  Rumänien und der Russischen Föderation. Die Ukraine als Herkunftsstaat ist mit unterschiedlich hohen Anteilen vertreten. Während 2003 in etwa dem Aufkommen des Vorjahres entspricht, folgt einem deutlichen Anstieg 2004 ein Rückgang im Jahre 2005 - dieses wird auf ein Großverfahren mit etwas 100 ukrainischen Opfern im Jahre 2004 zurückgeführt (Lagebericht 2005, S. 5). Weitere Herkunftsstaaten sind Litauen und Polen vor wie nach deren EU-Beitritt. Der Anteil außereuropäischer Herkunftsstaaten ist gering. Unter den afrikanischen Staaten wird Nigeria und für Asien wird Thailand als hauptsächlicher Herkunftsstaat genannt. In einzelnen Veröffentlichungen werden als Herkunftsstaaten auch die Republik Moldau und Weißrussland genannt (Paulus, Frauenhandel und Zwangsprostitution, 2003).

2.2 Opferbelastungsziffer nach BKA-Lageberichten

Gemessen an der Bevölkerungsdichte in Bezug auf die am häufigsten betroffene soziale Gruppe ist zwar auch Bulgarien als Hauptherkunftsstaat festzustellen, das Bild relativiert sich aber in Bezug auf das Baltikum. Die zu diesem Zweck errechnete Opferbelastungsziffer (OBZ) – Anzahl der weiblichen Opfer im Alter von 15 bis 30 Jahren je 100.000 Einwohnerinnen derselben Altersgruppe – ist im Jahre 2003 für Lettland am höchsten (22,1), gefolgt von Litauen (12,8), im Jahre 2004 liegt Bulgarien an erster Stelle (13,8) vor Litauen (5,9) und Rumänien. (3,6).

3. Ablauf des Tatgeschehens 

3.1 Anwerbung der Opfer

Die Anwerbung erfolgt oft mit dem Angebot seriös und konventionell erscheinder Arbeitsplätze für Tätigkeiten als Tänzerin, Köchin, Kindermädchen, Reinigungskraft oder Kellnerin (Albrecht in: Minthe, Illegale Migration und Schleusungskriminalität, 2002, S. 43; Geisler, Gehandelte Frauen, 2005, S. 24, 28, 78, 81, 83, 86, 104, 111, 142ff; Herz/Minthe, Straftatbestand Menschenhandel, 2006, S. 190; Keidel, Kriminalistik 1998, 321 (322); Paulus, Frauenhandel und Zwangsprostitution, 2003, S. 61, 63; Walter, Kriminalistik 1998, 471 (475); Wollny, Die neue Polizei 2003, 3 (5); BKA-Lagebericht Menschenhandel 2004, S. 14; 2005, S. 8; vgl. auch den Fall einer Nebenklägerin im Sachverhalt BGH, Beschl. v. 18.10.2001 – 3 StR 247/01). Soweit die Opfer bereits beim Anwerben in Kenntnis davon sind, dass sie der Prostitution nachgehen sollen, werden sie oftmals über die Umstände der Prostitutionsausübung getäuscht (Herz/Minthe, Straftatbestand Menschenhandel, 2006, S. 190; BKA-Lagebericht Menschenhandel 2004, S. 14; 2005, S. 8; vgl. auch den Fall BGH NStZ 2004, 682). Die Anwerbung erfolgt weniger über professionelle Vermittlung (Zeitungsinserat, Vermittlungsagentur) als vielmehr über soziale Netzwerke (Familie, Freunde, Nachbarschaft - vgl. Geisler, Gehandelte Frauen, 2005; Ackermann/Bell/Koelges, Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen, 2005).  

3.2 Einreise

Die Einreise erfolgt im Falle visumpflichtiger Staatsangehörigkeit (wie Ukraine, Russland, Republik Moldau) mit beschafften Schengen-Visa (in Form erschlichener Touristenvisa, Visa Typ C gem. Art. 11 I SDÜ) oder unter Ausstattung mit gefälschten Pässen, die eine visumbefreite Staatsangehörigkeit vortäuschen. Im Falle einer Visabefreiung nach der VO (EG) Nr. 539/2001, soweit entsprechende Staatsangehörigkeit besteht, erfolgt die Einreise für vermeintliche 90-Tages-Aufenthalte, im Falle von Unionsbürgerschaft (relevant: Bulgarien, Litauen, Polen, Rumänien) ist die Enreise nach AEUV und Art. 5 RL 2004/38/EG genehmgungsfrei.

3.3 Ausnutzen auslandsspezifischer Hilflosigkeit im Zielstaat

Im Inland wird in aller Regel die auslandsspezifische Hilflosigkeitwirtschaftliche Mittellosigkeit, mangelnde Sprachkenntnisse, Ortsunkundigkeit, soziale Isolation, Entwendung des Passes – ausgenutzt, um die Betroffenen zur Prostitution zu veranlassen. Durch tatsächliche oder vorgetäuschte Überschuldung (Visabeschaffungskosten, Reisekosten, Unterkunft) wird die Abarbeitung dieser „Schulden“ verlangt. Diese Umstände reichen  aus, um den Tatbestand des Menschenhandels zu erfüllen. Darüber hinaus berichtet eine Vielzahl von Opfern von Gewalterfahrung in brutalster Form, die der Einschüchterung dient, z.B. Vergewaltigung durch mehrere Täter zugleich, Ausdrücken von Zigaretten auf der Haut, sonstige Brachialgewalt und Morddrohungen (Herz/Minthe, Straftatbestand Menschenhandel, 2006, S. 190; BKA-Lageberichte Menschenhandel).

4. Realfälle aus der Rechtsprechung

4.1 Fall BGHSt 45, 158 – "Platzmänner-Fall"

Der Angeklagte wurde überführt, in Niedersachsen zwei Straßenbordelle betrieben zu haben. Dort gingen Frauen aus Russland und aus der Ukraine von 1994 bis 1998 in Wohnwagen oder Kleintransportern der Ausübung der Prostitution nach. Seit 1996 „bestellte“ der Angeklagte regelmäßig osteuropäische Frauen bei ausländischen Schleusern. Die Frauen waren zur Einreise mit polnischen Pässen ausgestattet worden, die durch Austausch von Lichtbildern und später – zur Vortäuschung visafreier Aufenthalte – durch Anbringen gefälschter Ein- und Ausreisestempel verfälscht worden waren. Ihre eigenen Pässe mussten die Frauen dem Angeklagten überlassen. Der Angeklagte verschaffte den Prostituierten Wohnraum und ließ sie von sog. Platzmännern täglich von dort zu den Bordellen fahren, wo sie zu vom Angeklagten festgesetzten Zeiten und Entgelten zu arbeiten und dem Angeklagten für Wohnung und Arbeitsplatz den größten Teil ihres Freierlohns zu überlassen hatten. Nach Ablauf der Arbeitszeit ließ der Angeklagte die Frauen durch die Platzmänner wieder in ihre Wohnräume zurückbringen. Die Frauen wurden von den Platzmännern auch stets begleitet, wenn sie tagsüber etwas zu erledigen hatten oder ihrerseits Gaststätten aufsuchten. Der Angeklagte hatte den Platzmännern private Beziehungen zu den Prostituierten strikt untersagt oder von seiner Zustimmung abhängig gemacht. Auf diesem Wege wollte der Angeklagte verhindern, dass die Frauen Beziehungen zu Dritten und Personen außerhalb des Prostitutionsmilieus hätten aufnehmen können. Im Jahre 1997 wurde ein Zeuge vor einem der Straßenbordelle durch den Angeklagten brutal misshandelt, auch um den anwesenden Prostituierten zu demonstrieren, wie er auf „regelwidriges“ Verhalten reagiert. Durch diese Vorgehensweisen waren die Frauen fest in der Hand der Bordellbetreiber. Ohne Pässe, orts- und sprachunkundig, mittellos und ständiger Kontrolle durch die Platzmänner sowie strikten Kontaktverboten zu Dritten unterworfen, hatten sie keine Chance, sich dem Einfluss des Angeklagten zu entziehen.
 
Infolge ihrer Orts- und Sprachunkundigkeit sowie ihrer Mittellosigkeit und Passlosigkeit waren die Frauen „auslandsspezifisch hilflos“. Durch die Schaffung der von Kontrolle, Kontaktlosigkeit und Einschüchterung geprägten Lebensumstände hat der Angeklagte auf die Opfer eingewirkt, um sie zur Ausübung der Prostitution zu veranlassen. Nach neuer Rechtslage genügt es, sie dazu zu bringen, was hier aus denselben Gründen erfüllt ist.

4.2 Fall BGH, Urteil vom 18.10.2001 – 3 StR 247/01

Nach den Feststellungen des im Wege der Revision angefochtenen Urteils des Landgerichts hat der Angeklagte zusammen mit dem gesondert Verfolgten S. vereinbart, Frauen unter Ausnutzung der allgemein schlechten Lebensbedingungen in der Ukraine zur Einreise nach Deutschland und zur Aufnahme der Prostitution zu bewegen. S. täuschte den Frauen vor, in Deutschland als Tänzerinnen arbeiten zu dürfen. Mit unrichtigen Angaben verschaffte er den Frauen Visa (nähere Angaben dazu enthält das Urteil nicht). Der Angeklagte unterstützte den S. bei der Abgabe der unrichtigen Angaben für die Visabeschaffung und übernahm die Eingereisten in Deutschland und brachte sie in verschiedene Bordelle. Im Falle der Nebenklägerin A., die von S. mit dem Angebot einer Stelle als Tänzerin angeworben worden war, sah sich diese vollkommen überraschend mit dem Ansinnnen der Prostitution konfrontiert, fügte sich jedoch, weil sie nicht wusste, wo sie sich befand, der deutschen Sprache nicht mächtig war und Angst vor der Polizei hatte. Sie musste die Hälfte ihres Prostituiertenlohnes und eine Tagesmiete von 15 DM an die Mitangeklagten abliefern, für das Verbringen nach Deutschland 2.000 DM und pro Woche 500 DM an den Angeklagten zahlen.

Der Angeklagte wurde u.a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel, Menschenhandel und Zuhälterei verurteilt.

4.3 Fall BGH, Beschluss vom 20.04.2004 – 4 StR 57/04

Nachfolgender Sachverhalt führte zur Verurteilung wegen schweren Menschenhandels durch das LG Halle, die allerdings wegen widersprüchlicher Beweiswürdigung durch den Revisionsbeschluss vom 20.04.2004 aufgehoben wurde (was jedoch keinen Freispruch bedeutet, sondern die Zurückverweisung an die erste Instanz zur erneuten Verhandlung, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung). Unterstellt, die im BGH-Beschluss dargestellten Sachverhaltsfeststellungen des LG Halle seien bestätigt worden (was nicht bekannt ist), so stellen sie auch ein anschauliches Beispiel dar.
 
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme lernte der Angeklagte im Mai 2000 in Magdeburg die litauische Touristin Jurgita T. kennen und überredete sie unter Vorspiegelung von Heiratsabsichten zur Arbeit in einem Bordell als Barfrau. Als sie sich abwenden und den Angeklagten verlassen wollte, zwang er sie unter Morddrohung, Würgen und Einsperren dazu, der Prostitution nachzugehen, worauf T. aus Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten des Angeklagten eingegangen ist. Jurgita T. übte die Prostitution in dem Bordell des Angeklagten und dessen Wohnung aus. Im Bordell wurde über die Prostituierten und ihre Beschäftigungen genau Buch geführt und der Prostitutionslohn einkassiert (eine Aufgabe, die zunächst Jurgita T. zugefallen war, bevor sie zur Prostitution gezwungen worden war). Darüber hinaus war sie auch für andere Personen tätig, an die der Angeklagte sie „ausgeliehen“ hatte.

4.4 Fall BGH NStZ-RR 2007, 46 - "Subotnik"-Fall (= BGH bei Pfister NStZ 2005, 366, Nr. 28)

Vier Angeklagte waren daran beteiligt,mit Touristenvisa eingereiste Osteuropäerinnen zwischen März 2002 und März 2003 als Prostituierte an Bordellbetriebe zu vermitteln. Unter Ausnutzen mangelnder Deutschkenntnisse der Frauen und z.T. unter Einziehen ihner Pässe wurden sie in Abhängigkeitsverhältnissen gehalten, in denen ihnen Ausgang nur ausnahmsweise und in Begleitung gewährt sowie strikte Arbeitszeiten vorgegeben wurden. Von ihren Einnahmen mussten die Frauen 50-60% an den jeweiligen Bordellbetreiber abführen, von den verbleibenden 40-50% die Hälfte an den Angeklagten L. und zusätzlich Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Visabeschaffungs- und Reisekosten abgeben. Auf "regelwidriges" Verhalten reagierte L. mit der Verhängung von "Geldstrafen", die abgearbeitet werden mussten, sowie mit der Androhung von "Subotniks" (russisch: freiwilliger zusätzlicher Arbeitseinsatz), in subkulturellen Kreisen die erzwungene sexuelle Hingabe einer Frau bzw. deren sexueller Missbrauch durch mehrere Männer gleichzeitig. Das LG Darmstadt, gegen dessen Urteil die Angeklagten Revision eingelegt hatten, hatte den Angekl. L. wegen Menschenhandels, ausbeuterischer und dirigierender Zuhälterei sowie Einschleusens von Ausländern verurteilt.   

4.5 Fall EGMR NJW 2007, 41 - Arbeitsausbeutung 

Einen Verstoß des französischen Staates gegen Art. 4 EMRK (Verbot der Sklaverei) hat der EGMR darin gesehen, dass der folgende Vorgang nicht strafrechtlich nach Code Penal verfolgt und das Opfer nicht ausreichend geschützt werden konnte: Eine togolesische Staatsangehörige wurde 1994 mit einem Touristenvisum nach Frankreich gebracht, an eine Familie "verliehen" und musste dort 7 Tage die Woche (ohne Ruhetag) je 15 h/tägl. (07.30-22.30 h) im Haushalt arbeiten (Versorgung der Kinder, Wäsche, Reinigung), als Schlafstätte war ihr eine Matratze im Baby-Zimmer zugewiesen, nachts hatte sie sich um das Baby zu kümmern, wenn es erwachte. Sie erhielt kein Geld, Ausgang wurde ihr untersagt. Dieser Vorgang - nur unterbrochen durch eine Flucht von wenigen Monaten - dauerte bis 1998 und wurde erst durch einen durch Nachbarschaft und Komitee für moderne Sklaverei veranlassten Polizeieinsatz beendet. 

Stand 30.10.2012

 
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